Sonntag, 16. April 2017

Smalltalk is nich ...



Smalltalk ist das Schmieröl im Getriebe der Kommunikation – und ein großer Stolperstein für Aspies. Warum sollte man sich über belangloses Zeug unterhalten? Lieber gleich auf den Punkt kommen. Wir haben schnell eine Meinung (gern in dezentem Schwarz-Weiß) und vertreten die auch stur. Wenn aus Versehen ein "Spezialinteresse" angesprochen wird, halten wir einen stundenlangen Monolog über das Thema – egal, ob es den anderen interessiert. Klingt nach dem idealen Gesprächspartner?
Durch unsere manchmal schmerzhafte Ehrlichkeit lassen wir uns durchaus von anderen Meinungen überzeugen – wenn die Argumente logisch sind oder sich in der Aspie-Gefühlwelt bewegen. Vor allem älteren Aspies sagt schon der Verstand, dass unsere Meinung nicht das Maß aller Dinge ist und wir unter Umständen doch nicht alle Fakten kennen, die zu einer qualifizierten Meinung führen. Hier der Hinweis: Versucht nicht, das Spezialinteresse eines Aspies mit Pseudo-Wissen anzugreifen, er macht euch verbal platt.
Aspies erscheinen durch ihre ungewöhnlichen Interessen oft interessant. Nur das Geschwafel ist eher unschön. Was ich jetzt als Trick gefunden habe: Ich quäle mich durch ein bisschen Smalltalk, bis ich irgendwas gefunden habe, was mich an der anderen Person stark interessiert. Leute sind so spannend, und jeder hat aspie-taugliche Themen im Gepäck. Es muss nur irgendwas sein, was sich analytisch aufdröseln lässt ;). In der Bauernrunde bei Opas Geburtstag geht es dann zum Beispiel um die Bewirtschaftung der Höfe früher, in Mädelsrunde um den Streit Lang- oder Kurzhaarfrisur (Argumente, Leute!).


Samstag, 15. April 2017

Spezialinteressen


Bei dem Stichwort "Autismus" denken viele an Wunderkinder oder "Savants" – Menschen, die beinahe übermenschliche Fähigkeiten oder Kenntnisse in einem Spezialgebiet besitzen. Sogenannte "Inselbegabungen" sollen allerdings genauso häufig bei NTs vorkommen. Warum sind sie dann so eng mit dem Autismus verknüpft? Wenn ein "normales" Kind hochintellektuell ist und sich auf einem Gebiet besonders gut auskennt, geht es halt an die Uni und wird Professor oder Forscher oder was auch immer. Schlaue Leute unter sich. Bei einem Autisten geht man ja eh davon aus, dass er "ein bisschen zurückgeblieben" ist, und daher ist es umso bemerkenswerter, wenn er plötzlich Begabung zeigt. Jemand, der keinen geraden Satz rausbringt, zeichnet Stadtpanoramen aus dem Gedächtnis? Wahnsinn.
In meinen Augen geht es hier viel um mediales Interesse, weil der Gegensatz einfach so groß ist. Keiner (außer vielleicht den Kollegen) beglückwünscht einen Wissenschaftler für seine großartigen Entdeckungen. Gehört schließlich dazu, wenn du ein Schlaumeier bist. Irgendwie ein bisschen unfair, das Ganze … Solche "Spezialinteressen" können aber in der Tat ein Erkennungszeichen für eine Autismus-Spektrum-Störung sein. Von einfachen Hobbys unterscheidet sie, dass sie mit einer fast schon beängstigenden Leidenschaft gelebt werden, meist nicht altersgerecht sind und gerne mal abgesehen jeglicher "normaler-Freizeitbeschäftigungs-Norm" liegen.
Da Autisten Ordnung und jegliche Art von Listen lieben, sind die Spezialinteressen gerne analytisch. Jahreszahlen lernen, Sprachen auseinanderpflücken, Tiere und Pflanzen kategorisieren. Beispiele? Zu meinen Interessen gehörte: das Alte Ägypten (Alter: etwa 9), Dinosaurier (etwa 10), Philosophie und Yoga (etwa 12). Alles nicht so ganz altersgerecht. Aktuell sind es: Typographie (ich kann stundenlang schön gestaltete Wörter angucken), Sprachen (bisher gelernt: Englisch in verschiedenen Dialekten, Französisch, Spanisch, Italienisch, Walisisch, Japanisch und ein paar Brocken Maori, Samoanisch, Hindi). Gesetzestexte (Ich kann nix dafür. Läuft unter dem Thema "Sprache". Ich finde es faszinierend, wie verschwurbelt man sich ausdrücken muss, nur um definitiv und 100% kein Schlupfloch zu hinterlassen.)

Der berufliche Erfolg ist für Aspies oft durch die Kommunikationsschwierigkeiten verbaut. Wenn man sich im Bewerbungsgespräch nicht "verkaufen" kann, bleibt man eben auf der Strecke. Dabei können wir doch strahlen – mit unseren Spezialinteressen. Das ist natürlich nicht immer möglich und gern auch mal durch sonstige Handicaps beeinträchtigt. Ich habe das große Glück, den für mich perfekten Job gefunden zu haben. Ich darf Prozesse und Arbeitsabläufe entwickeln, Schulungsunterlagen erstellen, habe ein fast eigenes Büro (Chef ist selten da) und bin aber oft genug in unserer Werkshalle unterwegs oder kriege "Besuch", dass es nicht langweilig wird. Etwas Routine, viele neue Themengebiete mit vielen neuen Gesetzestexten zum Durchgraben (was keiner sonst machen will) – eine feine Sache. Und da Sprache zu meinen Interessen gehört, ist es für mich nicht dramatisch, Vorträge zu halten. Eine lange, stressige Woche mit (zu) vielen Sinneseindrücken kann ich kompensieren, indem ich ein paar Überstunden abfeiere. Und damit ist das Einzige, womit mein ASS negativ auffallen könnte, auch weg vom Tisch. Ganz und gar perfekt für mich. Drückt mir die Daumen, dass es noch lange so bleibt :)



Freitag, 7. April 2017

SPD - Willkommen im Aspie-Wunderland!

Zu meinem ganz persönlichen Wunderland der Sinne geht es erstmal durch den Kaninchenbau des Hörens: Ich vermeide auditive Wahrnehmung. Ich habe ein extrem gutes Gehör - bei meinen Hörtests dachten die Ärzte immer wieder, ihr Gerät sei kaputt. Autos höre ich in 5km Entfernung, und beim Segeln erkenne ich die Strömung daran, wie die Wellen "fallen".
Klingt alles besser, als es sich anfühlt. Musik z.B. ist schwierig. Alle sagen, ich höre langweilige Musik – ja ich kann eben "spannende" Musik nicht verkraften. Ich höre keine Band, sondern jedes einzelne Instrument. Und mein armes Gehirn versucht dann, das alles zusammenzusetzen. Anstrengend! Kino und Partys gehen nur mit Ohrstöpseln. Disco … ähm … ich glaub, ich war schon zweimal im Leben?
Zum Glück kann ich das gut kontrollieren. Es gibt Ohrstöpsel, oder ich geh eben nicht auf Partys. Viele Menschen auf einen Haufen … eh nicht mein Ding … Blöd sind Geburtstage, wenn mehrere Leute gleichzeitig reden. Ich höre dann nur noch "Lärm". Eine kurze Zeit geht es, wenn ich nach unten gucke oder die Augen zumache und mit dem Ohr Richtung der sprechenden Person gehe. Kommt manchmal echt blöd rüber ;);)
Aber der Rest ist einfach ein ganz großes Wunderland. Ein sehr angenehmer, weil "sicherer", Sinn ist das Sehen. Ich liebe alles, was schön ist. Tolle Farben, Formen, Klarheit, Weite, wundervoll. Man kann mich in einer schönen Landschaft abparken und nach 2h wieder abholen. Ich gucke auch gern schöne Menschen an. Ist ein bissl blöd, wenn man zu lange starrt … aber wenn dieser Mensch doch so schöööön ist! Filme und Fotos, das sind die Rettungsanker.
Tastsinn – ich muss alles anfassen. Museen zum Anfassen sind das Beste. Oder meine Kaffeetasse mit Samtbezug. So kann man sich auf Arbeit auch im Meeting ein paar schöne Sinneseindrücke verschaffen und sich viel besser konzentrieren. Fällt nicht so auf ;);)
Und mein absoluter Liebling: Düfte. Ich kann nicht beschreiben (und sowas schimpft sich "Autorin"!), welche Gefühle schöne Düfte in mir wachrufen. Ich bin dann einfach im Paradies. Bei mir daheim wird jeder Raum unterschiedlich beduftet, ich habe Unmengen an Wäscheparfums, trage jeden Tag Parfum und meine Romanfiguren duften auch. Ein Duft lässt eine ganze Geschichte, eine ganze Welt in meinem Kopf entstehen. Wie ich das liebe! Und es ist im "echten Leben" kein Problem. Als Bauernkind kann ich auch mit unangenehmen Gerüchen umgehen :):P
Von einigen Aussetzern mal abgesehen, feiere ich meine Sinne immer wieder. Was für ein Wunderwerk doch so ein kleines verrücktes Gehirn ist, oder? Und wie sieht das Ganze bei euch aus? Egal ob Autie oder NT - welche Sinneseindrücke sind euch eher unangenehm, welche hingegen feiert ihr?


Donnerstag, 6. April 2017

SPD - Wenn im Lebensfernseher zehn Sendungen gleichzeitig laufen

Die Sinneswahrnehmung eines Autisten ist kunterbunter Reichtum und unbezwingbare Hürde zugleich.
Kennt ihr das, wenn ihr reizüberflutet seid? Bei uns ist das ein Dauerzustand. Schön und anstrengend – und manchmal unerträglich. Manche Sinneseindrücke sind so wunderbar, dass wir ihnen förmlich hinterherrennen. Wir sind dann wie kleine Kinder, die Löcher in die Luft starren (weil die Landschaft so schön ist) oder vor sich hin summen (weil uns der Ton beruhigt oder wir uns besser konzentrieren können). Manche Sinneseindrücke machen uns einfach nur platt oder sorgen für großes Unbehagen. Dann verfallen manche in eine Art Starre, andere können noch schnell genug "flüchten". Ich geh z.B. kurz ausm Meeting raus, wenn alle durcheinanderreden – "aufs Klo" ;);). Hier ist es super, wenn ihr euren Aspie-Freunden zugesteht, sich mal kurz zu verkrümeln, um wieder "runterzukommen". Wenn es auf Partys einen dunklen Raum gibt (OK, meinetwegen das Klo), wo man mal kurz weitgehend ohne Sinneseindrücke ist. Sonst brennt die Sicherung durch, und das ist wirklich fies.
Da man das alles kaum verallgemeinern kann, weil es so viele Spielarten der sogenannten "Sinneswahrnehmungsstörungen" gibt, hier es im nächsten Beitrag mein persönliches Schatzkätzchen. Vielleicht könnt ihr ja dann ein bisschen nachfühlen, wie crazy diese Welt manchmal ist ;)



;)

Dienstag, 4. April 2017

Autismus ist nicht (nur) "Rain Man"


Das Gehirn von Autisten ist anders verdrahtet. "Neurotypische" Menschen ("NTs") lernen durch Emotion und Intuition, Autisten durch Logik und Verstand. Obwohl jeder Autist anders ist und das Spektrum von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des normalen Lebens bis hin zu einer äußerst "angepassten" Lebensweise geht, gibt es ein paar Merkmale, die uns vereinen. Das wohl offensichtlichste ist die Kommunikation – oder das Fehlen derselben ;)

Für Autisten ist es schwer, Gestik und Mimik richtig einzuordnen. Oft wird uns mangelnde Empathie vorgeworfen, was aus meiner Sicht Quatsch ist. Wir haben sehr intensive Gefühle, aber wir verstehen und äußern sie nur anders als NTs. Es passiert selten, dass wir einfach zustimmen, wenn sich jemand bei uns "ausheulen" will, denn wir sind lösungsorientiert. Getreu dem Motto "Rumjammern bringt nichts" pflücken wir die Psyche auseinander und suchen aufs Gründlichste nach Auswegen. Gefühlprobleme lösen wir analytisch. Klar, dass das manchmal als gefühlskalt rüberkommt.
Während bei einigen Autisten die Sprachentwicklung verzögert ist, machen andere eine ganz normale bis überdurchschnittliche Sprachentwicklung durch. Sie fangen früh an zu sprechen und haben oft einen großen Wortschatz, der sich nur durch mangelnde Kommunikationsfähigkeiten nicht richtig nach außen zeigt. Sie sprechen fließend "Aspergisch", eine oft bildhafte Sprache, die von Liebe zu (selbstausgedachten) Metaphern und bedingungsloser Ehrlichkeit geprägt ist. Das klingt dann gerne mal wie ein altkluger Professor oder einfach ein taktloser Trampel. An dieser Stelle ein ganz großes Danke an alle, die mich trotzdem liebhaben *Kussi*!

Eine Stolperfalle, in die ich mich immer wieder gern reinstürze: Weil wir selber grundehrlich sind, glauben wir, alle seien so. Und dann können wir noch nicht einmal Gestik, Mimik und Zynismus verstehen! Ich nehme gern alles wörtlich und fliege damit auf die Nase. Alles immer interpretieren zu müssen ist wirklich sehr anstrengend. Wenn ihr mit einem "Aspie" oder "Autie" sprecht, macht es ihnen leicht, indem ihr eine geradlinige, ehrliche Sprache benutzt.


Zu den zwei weiteren "Erkennungszeichen" SPD und Spezialinteressen erzähle ich euch in den nächsten Tagen mehr. Dann nehm ich euch mit ins Aspie-Wunderland ^_^ 

Sonntag, 2. April 2017

2. April: Welt-Autismus-Tag



Sichtbar oder unsichtbar, auffällig oder unauffällig … Das Spektrum der Autistischen Störungen ist unendlich und reicht von normaler Schüchternheit bis dahin, sein Leben lang auf Hilfe angewiesen zu sein. In manchen Regionen ist Autismus ein Stigma, während Asperger-Syndrom, eine schwache Ausprägung des Autismus, woanders beinahe eine Modeerscheinung ist. Sind das nicht Autisten, die mit diesen Inselbegabungen? War Einstein nicht auch Autist?

Viele Mythen, wenig Klarheit. Autismus ist schwer zu greifen, denn jeder Mensch auf dem Spektrum ist anders. Probieren wir es trotzdem mal:

Wenn du hin und wieder traurig bist, leidest du an einer Depression? Wenn du nachts mal zum Kühlschrank stapfst und was zu Futtern suchst, hast du dann eine Essstörung? Wenn du gern allein bist, bist du dann Autist? Wo geht das Spektrum los, wo endet es?

Ich finde mich auch auf dem Spektrum. Früher hätte man "Asperger-Syndrom" gesagt, mittlerweile ist dieser Begriff aber offiziell nicht mehr in Gebrauch. Ich kann Körpersprache und Mimik schlecht verstehen und bei mehreren Leuten, die gleichzeitig reden, überhaupt nichts mehr hören. Emotionen sind für mich logische psychologisch bedingte Reaktionen des Körpers und Geistes – nichts, das nicht erklärbar wäre. Außerdem habe ich Spezialinteressen, die ich mit sehr viel Leidenschaft und Hingabe verfolge.

Ich habe es satt, immer mit meiner "Andersheit" anzuecken und Ausreden für meine Bedürfnisse finden zu müssen. Dauerhaft auf "normal" zu schauspielern, ist mir einfach zu anstrengend geworden. Deshalb werde ich in Zukunft offen mit dem Thema umgehen und freue mich, wenn ihr mich begleitet. Im April möchte ich euch mit einigen Artikeln zum Thema Autismus gern auf eine Reise mitnehmen durch eine etwas andere Welt. Vielleicht seid ihr neugierig darauf, wie Autisten die Welt sehen? Vielleicht kennt ihr sogar jemanden mit einer Autismus-Spektrum-Störung?  Welche Erfahrungen habt ihr als/mit Autisten gemacht? Ich würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam ein wenig zur Aufklärung beitragen. Teilen ausdrücklich erwünscht!

Überall erhältlich!

Endlich ist "Autismus - eine Bedienungsanleitung" überall erhältlich! Amazon hat zwar ein bisschen länger gebraucht (2 Monate, kan...