Dienstag, 10. April 2018

Abbruch eines Experiments

Nach zehn Tagen ausschließlich Blog und Sachbuch schreiben kann ich eines mit Sicherheit sagen: (Nur) Sachtexte schreiben bekommt mir nicht.

Für meine "Autismus-Bedienungsanleitung" arbeite mich wieder in das Thema ein. Diesmal mit genug Abstand. Ein Jahr mit dem Wissen, warum ich wie ticke und wie die Welt funktioniert, sollten einem doch genug an die Hand geben, um den Blick "von außen" hinzukriegen, oder?
Meine Romanprojekte schlafen derzeit, aber die schlechten Träume landen bei mir. Ich komme nicht ohne Romane klar. Nur das echte Leben, das zur Zeit einfach nur verdammt anstrengend ist - wer will das schon?

Ein kurzer Vergleich:

Romanschreibzeit: Morgens beim Aufwachen versuche ich, mich an die Ideen vom Einschlafen zu erinnern. Ich hüpfe motiviert aus dem Bett, weil diese tollen Ideen niedergeschrieben werden wollen. Wenn ich zur Arbeit aufbreche, habe ich meist schon mein Tagespensum geschafft und bin entsprechend gut gelaunt. Die Gedanken an die Geschichte begleiten mich die halbe Autofahrt, erst kurz vorm Ziel stelle ich mich langsam auf den Arbeitstag ein. Abends auf der Heimfahrt kreisen die Gedanken wieder in Schreib-Vorfreude um die Geschichte. Und beim Einschlafen bin ich mittendrin. Tiefer Schlaf. Keine Träume, weil ich alles in der Geschichte verarbeite, was mich beschäftigt.

Sachtextschreibzeit: Morgens denke ich an die Arbeit, weil ich mich nicht früh schon damit befassen will, wie anstrengend Autismus sein kann. Arbeit ist einfacher. Aber auch stressig zur Zeit, also denke ich wieder an den Autismus und bin frustriert. Ach, ich will gar nicht weiterschreiben, ihr versteht das auch so, gell? Jedenfalls leidet nicht nur die Schreibfreude, auch die Lockerheit, mit der ich das ernste Thema angehe, ist verschollen. Und genau das darf nicht sein.

Also zurückrudern. Wieder an meine "Elemente" setzen. Träumen. Stundenweise aus der Realität aussteigen - und beim Wieder-Einsteigen mit frischem Blick auf alte Probleme schauen. Nicht immer nur um negative Sachen kreiseln.

Luisa, Finn und Oliver - ich bin wieder da.

Dienstag, 3. April 2018

Klinik oder Selbstdiagnose?

Lasst mich noch ein paar Worte zur Selbst-Diagnose sagen. Ich weiß, dass einige Psychologen mit gerümpfter Nase darauf herabschauen, denn mir wurde bereits mitgeteilt, was von Selbstdiagnosen zu halten ist. Wer kann sich denn schon selbst diagnostizieren?
Diejenigen vielleicht, die sich sehr genau an ihre Kindheit erinnern können, weil sie mit fast nichts anderem beschäftigt waren, als krampfhaft zu versuchen, dazuzupassen. Sich "normal" zu verhalten. Früher gab es nicht das Autismus-Spektrum. Es war nicht OK, wegen psychischer Probleme in Behandlung zu sein. Es gab nur "verrückt" oder "gesund". Der Posten des Dorf-Bekloppten war schon vergeben, und ich war nicht scharf darauf, seinen Platz einzunehmen.

Durch viele Jahre harter Arbeit an mir selbst habe ich mich auf normal getrimmt, und eine Diagnose von außen halte ich für fast unmöglich. Mein Verhalten war so lange nicht mein eigenes, dass mein Autismus heute kaum mehr erkennbar ist. Mit Fragebögen zum Autismus bei Erwachsenen, in denen Vergleiche Kindheit - Erwachsenenalter angestellt werden, habe ich mich wiedergefunden. Mir ist deutlich geworden, wie viel ich all die Jahre unterdrückt und versteckt habe. Die Beschreibung Asperger trifft so gut auf mich zu, dass es schon fast gruselig ist. Wieso hat man das all die Jahre übersehen?

Es ist eine ganz neue Welt, plötzlich wieder all das zuzulassen, was man mal locker 30 Jahre lang unterdrückt hat. Ich werde wieder ich selbst, Stück für Stück. Ich finde mich in einer Gemeinschaft wieder, die ich verstehe und die mich versteht. Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Ich fühle mich nicht mehr als Außenseiter. Und das soll alles Einbildung sein, ja? Sicher sind auch die Ergebnisse aller Online-Tests, die ich gemacht habe, nur Einbildung. Vielleicht können sie eine offizielle Diagnose nicht ersetzen, aber wenn alles darauf hindeutet und ich mich dort selbst wiederfinde, sollte man es dann nicht einfach annehmen?

Seit ich mich in Stresssituationen in der Autismus- Werkzeugkiste bediene und es mir damit richtig gut geht, akzeptiere ich, dass ich so bin, wie ich bin. Kliniken in meiner Nähe diagnostizieren nur, wenn man einer Therapie zusagt. Erstens, ihr Hinterwäldler, gibt es keine Therapie für Autismus, höchstens Verhaltensschulungen, um "normal" rüberzukommen. So, wie ich all die Jahre Gestik und Mimik und Emotionen aus Büchern gelernt habe. Hilfreich, aber ich brauch das nicht mehr. Zweitens WILL ich überhaupt nicht therapiert werden. Ich habe nicht nur Einschränkungen, ich habe auch Superkräfte. Ich kann mich stundenlang auf eine Sache konzentrieren und richtig reingraben. Ich mag und verstehe Gesetzestexte und kann damit auf der Arbeit den Kollegen ungeliebte Aufgaben abnehmen. Und so weiter.
Keine Therapie und dann eben auch keine offizielle Diagnose, vielen Dank.


Wer Interesse an den Autismus-/ Asperger-Fragebögen hat:

Aspie-Quiz, Leif Ekblad, 2004-2008. 150 Fragen, Asperger- und neurotypische Züge werden untersucht. Es gibt eine umfangreiche Testauswertung, in der die einzelnen Züge genau unter die Lupe genommen werden. In meinen Augen der ausführlichste Online-Test, sehr zu empfehlen!

Selbsttest auf Asperger-Syndrom, Dr. Simon Baron-Cohen, deutsch von Richard Fellner. 50 Fragen.

MBAS, Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom, Inge Kamp-Becker & Helmut Remschmid. 57 Fragen.


Montag, 2. April 2018

2. April: Welt-Autismus-Tag

Vor genau einem Jahr habe ich mich "geoutet". Selbst frisch als "Aspie" diagnostiziert, selbst mitten in der Findungsphase - es war eine aufregende und überraschende Zeit. So viele Jahre habe ich mich gewundert, warum ich anders bin. Ich meine, dass mit dem Anderssein sollte doch irgendwann nach der Pubertät aufhören, oder?
Plötzlich lernte ich, mich zu verstehen. Dass ich nicht die Einzige bin. Dass es Wege gibt, einen fast normalen Alltag zu führen. Dass ich mir nicht sagen lassen muss, ich habe eine Behinderung, die mich stark einschränkt, denn ich mache einen verdammt guten Job im "Normal-Sein". Aber muss ich das denn? Kann ich nicht einfach so sein, wie ich bin, und darauf hoffen, dass ich akzeptiert werde?
Ich traue mich beinahe, "ja" zu sagen. Ich verstecke meinen Autismus nicht mehr, ich gehe offen damit um. Nicht hausieren - ich binde es nicht jeden auf die Nase - aber wenn ich mich wohl und sicher fühle, möchte ich ein wenig meine Alltags-Maske fallen lassen. Dann erkläre ich kurz, dass ich Autist bin, denn das fasst das "Anderssein" immer ganz gut zusammen. Nun haben Leute ihre Vorstellung von Autismus, und das erste, das ich höre, ist: "Du wirkst gar nicht autistisch." Manche Autisten sehen das als Beleidigung, weil es einfach verdammt viel Kraft kostet, "normal" zu wirken und nicht ständig anzuecken. Ich mag diese Aussage, weil es uns ins Gespräch bringt. Warum wirke ich nicht autistisch? Wie stellst du dir denn einen Autisten vor? Hier ist die Chance, Vorurteile aufzuweichen und etwas Aufklärung zu betreiben.

Und ja, es ist echt hart, normal zu sein. Es fühlt sich ein bisschen an wie eine Fremdsprache, die ich schon seit sehr langer Zeit lerne und entsprechend gut spreche. So gut, dass ich manchmal meine Muttersprache fast vergesse. Im Alltag hilft das, sicher.
Aber erst, nachdem ich mehr über Autismus und die verschiedenen Ausprägungen gelernt hatte, konnte ich wieder zurück zu mir selbst finden. Es ist wie ein Heimkommen nach vielen, vielen Jahren. Manche wundern sich, wenn ich plötzlich in meine Muttersprache abrutsche - aber das muss mir egal sein (ich lerne noch). Es fühlt sich so gut an. Und noch besser fühlt es sich an, wenn Menschen, die ich mag, das hinnehmen können. Verstehen müssen sie es nicht, nur akzeptieren.

Meiner Mutter gegenüber habe ich es letztes Jahr mal kurz durchblicken lassen, und das war ein echt komisches Gefühl. Ich habe auf Facebook was Schönes gesehen (OK, es war ein geschliffener Kristall,  der irre gefunkelt hat, über sowas freue ich mich dann gern mal stundenlang) und mich schon in meinem Zimmer eine halbe Stunde lang darüber gefreut. Früher habe ich das unterdrückt. Da hieß es immer: "Komm mal runter." Heute steh ich dazu, jawoll! Ich habe also dieses wunder-wunder-unglaublichwunderschöne Video meiner Mutter gezeigt, sie gewarnt, dass ich jetzt mal "ich" sein werde, und mich gefreut. Wie so ein kleines Kind zu Weihnachten. Sie hat dann zwar auch nach 10min gesagt, dass es jetzt langsam gruselig wird, aber hey, sie hat 10min durchgehalten, während ihre Tochter am Rad gedreht hat. Für den Anfang gar nicht schlecht, oder?

Sonntag, 1. April 2018

Autisten als Nebenfiguren - nur Karikaturen?

Die Rohfassung zu Band 2 der "Elemente" - Trilogie steht und was soll ich sagen ... Meine Hauptfigur wird nun doch nicht autistisch! Feigheit meinerseits? Vielleicht. Aber ich habe es so schon schwer genug, Figuren zu schaffen, mit denen sich meine Leser identifizieren können. Eine autistische Hauptfigur würde das nicht leichter machen.
Ich habe auch kein schlechtes Gewissen dabei, denn die meisten meiner Figuren haben eh schon autistische Züge. Und da meine Nebenfigur Elias Autist ist und seine Besonderheiten meinen Finn ganz schön ins Schwitzen bringen, eröffnet sich für mich die wunderbare Möglichkeit, mehr zum gegenseitigen Verständnis beizutragen. Leser erfahren jetzt durch Finns Augen, was es bedeutet, eine Freundschaft mit einem autistischen Kind zu schließen und - das Schwierigste - aufrecht zu erhalten.

Egal ob Haupt- oder Nebenfigur: Autisten in Romanen/ Serien/ Filmen verkommen gern zur Karikatur. Eine Falle, in die ich auf keinen Fall tappen möchte! Gut, man sollte mit Klischees einsteigen, um den Leser über Bekanntes an Neues heranzuführen. Und es ist echt spannend, diese Klischees aufzuweichen. Nicht zu brechen, denn die meisten Vorurteile haben ihren Ursprung in der Realität. Aber es gehört so viel mehr dazu - so viele Ausprägungen des Autismus, die gezeigt werden wollen ...
Ich beschränke mich auf eine recht deutliche Form des "Asperger Syndroms", denn es ist keine Geschichte über Autismus. Autismus soll nicht im Mittelpunkt stehen, soll nicht zum Marketing-Gag verkommen, sondern einfach da sein, wie er uns auch im Alltag begegnet. Mit allen schönen und schwierigen Seiten. Ob mir das gelingt?


Überall erhältlich!

Endlich ist "Autismus - eine Bedienungsanleitung" überall erhältlich! Amazon hat zwar ein bisschen länger gebraucht (2 Monate, kan...