Montag, 2. April 2018

2. April: Welt-Autismus-Tag

Vor genau einem Jahr habe ich mich "geoutet". Selbst frisch als "Aspie" diagnostiziert, selbst mitten in der Findungsphase - es war eine aufregende und überraschende Zeit. So viele Jahre habe ich mich gewundert, warum ich anders bin. Ich meine, dass mit dem Anderssein sollte doch irgendwann nach der Pubertät aufhören, oder?
Plötzlich lernte ich, mich zu verstehen. Dass ich nicht die Einzige bin. Dass es Wege gibt, einen fast normalen Alltag zu führen. Dass ich mir nicht sagen lassen muss, ich habe eine Behinderung, die mich stark einschränkt, denn ich mache einen verdammt guten Job im "Normal-Sein". Aber muss ich das denn? Kann ich nicht einfach so sein, wie ich bin, und darauf hoffen, dass ich akzeptiert werde?
Ich traue mich beinahe, "ja" zu sagen. Ich verstecke meinen Autismus nicht mehr, ich gehe offen damit um. Nicht hausieren - ich binde es nicht jeden auf die Nase - aber wenn ich mich wohl und sicher fühle, möchte ich ein wenig meine Alltags-Maske fallen lassen. Dann erkläre ich kurz, dass ich Autist bin, denn das fasst das "Anderssein" immer ganz gut zusammen. Nun haben Leute ihre Vorstellung von Autismus, und das erste, das ich höre, ist: "Du wirkst gar nicht autistisch." Manche Autisten sehen das als Beleidigung, weil es einfach verdammt viel Kraft kostet, "normal" zu wirken und nicht ständig anzuecken. Ich mag diese Aussage, weil es uns ins Gespräch bringt. Warum wirke ich nicht autistisch? Wie stellst du dir denn einen Autisten vor? Hier ist die Chance, Vorurteile aufzuweichen und etwas Aufklärung zu betreiben.

Und ja, es ist echt hart, normal zu sein. Es fühlt sich ein bisschen an wie eine Fremdsprache, die ich schon seit sehr langer Zeit lerne und entsprechend gut spreche. So gut, dass ich manchmal meine Muttersprache fast vergesse. Im Alltag hilft das, sicher.
Aber erst, nachdem ich mehr über Autismus und die verschiedenen Ausprägungen gelernt hatte, konnte ich wieder zurück zu mir selbst finden. Es ist wie ein Heimkommen nach vielen, vielen Jahren. Manche wundern sich, wenn ich plötzlich in meine Muttersprache abrutsche - aber das muss mir egal sein (ich lerne noch). Es fühlt sich so gut an. Und noch besser fühlt es sich an, wenn Menschen, die ich mag, das hinnehmen können. Verstehen müssen sie es nicht, nur akzeptieren.

Meiner Mutter gegenüber habe ich es letztes Jahr mal kurz durchblicken lassen, und das war ein echt komisches Gefühl. Ich habe auf Facebook was Schönes gesehen (OK, es war ein geschliffener Kristall,  der irre gefunkelt hat, über sowas freue ich mich dann gern mal stundenlang) und mich schon in meinem Zimmer eine halbe Stunde lang darüber gefreut. Früher habe ich das unterdrückt. Da hieß es immer: "Komm mal runter." Heute steh ich dazu, jawoll! Ich habe also dieses wunder-wunder-unglaublichwunderschöne Video meiner Mutter gezeigt, sie gewarnt, dass ich jetzt mal "ich" sein werde, und mich gefreut. Wie so ein kleines Kind zu Weihnachten. Sie hat dann zwar auch nach 10min gesagt, dass es jetzt langsam gruselig wird, aber hey, sie hat 10min durchgehalten, während ihre Tochter am Rad gedreht hat. Für den Anfang gar nicht schlecht, oder?

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